Als Beispiel, wie dieses Modellprojekt aussehen kann, haben wir uns Szenarien überlegt, die in zwei aufeinanderfolgenden Phasen umgesetzt werden könnten:
1. Phase: In einem Dorf mit ca.1.000 Einwohnern erhalten alle für 5 Jahre ca. 1.000 Euro im Monat. | 2. Phase: In einer Kleinstadt mit ca. 50.000 Einwohnern erhalten alle für 5 Jahre ca. 1.000 Euro im Monat. |
Ziele
Mit dem Modellprojekt Grundeinkommen statt Braunkohle soll die geplante und erforderliche Wirtschaftsförderung auf neue Füße gestellt werden. Statt Trickle-Down soll Geld direkt an die Menschen gezahlt werden, eingebettet in ein Gesamtkonzept mit Infrastrukturmaßnahmen und anderen Investitionen in die Region.
Gleichzeitig soll der ohnehin stattfindende Strukturwandel genutzt werden, um Erkenntnisse zum Bedingungslosen Grundeinkommen in Deutschland zu gewinnen. Dieses Wissen kann dann perspektivisch auch für andere Regionen im Wandel genutzt werden.
Zwei Orte in der Lausitz können damit zu Zukunftsprojekten werden, die Veränderung als Chance begreifen und nicht als etwas, das ängstlich vermieden werden muss.
Größe
Die Bevölkerung der Orte und damit die Teilnehmerzahl sollte dabei möglichst groß sein, um wissenschaftliche Untersuchungen der sozialen und wirtschaftlichen Interaktion zu erlauben. Gleichzeitig wird die maximale Größe durch die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel begrenzt.
Die eingeplanten Subventionen für die Lausitz werden für ein Gesamtkonzept gebraucht, von denen das BGE-Modellprojekt ein Teil sein sollte. Der Kaufkraftverlust in der Region kann nicht allein mit Straßenbau kompensiert werden.
In der 1. Phase haben wir uns an einer Größenordnung orientiert, ab der wissenschaftliche Untersuchungen ermöglicht werden. Es gibt bereits vielfältige Experimente mit bedingungslosen Zahlungen, mal näher an der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens, mal weiter davon entfernt. Neue Erkenntnisse erhoffen wir uns in diesem Zusammenhang insbesondere in Bezug auf die sozialen Interaktionen untereinander, im Gegensatz zu Untersuchungen an Einzelpersonen.
Ein besonderes Interesse gilt dem sozialen Miteinander, Auswirkungen auf Wirtschaftsaktivität/Steueraufkommen, politische Teilhabe, Gesundheitsentwicklung und Einwohnerzahl. Ein Dorf mit rund 1.000 Einwohnern, in dem jeder das Bedingungslose Grundeinkommen erhalten würde, vom Baby bis zum Greis, wäre dafür zunächst ein ausreichend großer Teilnehmerkreis.
Das konkrete Studiendesign soll dann, falls eine Umsetzung von entsprechenden Entscheidungsträgern gewollt wird, in Zusammenarbeit mit Instituten/Universitäten erstellt werden.
In der 2. Phase geht es mehr darum, die regionale Wirtschaft zu fördern und den Kaufkraftverlust durch den Wegfall der Braunkohle-Löhne zu kompensieren. Über Zweitrundeneffekte leiden nicht nur die ehemaligen Braunkohlearbeiter unter ihrem Jobverlust, sondern auch der Bäcker im Ort, bei dem bislang eingekauft wurde, die Handwerker und Dienstleister, die von den Löhnen bezahlt wurden, und nicht zuletzt auch die sozialen und sportlichen Vereine, die von Spenden der Braunkohle profitiert haben. Deswegen haben wir uns in der Größenordnung der Bruttokosten an den wegfallenden Löhnen (schätzungsweise etwa 600 Millionen pro Jahr) orientiert. Dabei könnten ein oder zwei Kleinstädte mit insgesamt rund 50.000 Einwohnern mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen versorgt werden. Einer der Untersuchungsaspekte könnte sein, zu prüfen, wie viel des gezahlten Grundeinkommens in der Region tatsächlich verwendet wird.
Wichtig ist dabei, dass nicht nur die Braunkohle-Beschäftigten das Grundeinkommen erhalten, sondern in dem ausgewählten Ort alle. Erst dann kann von einem Bedingungslosen Grundeinkommen gesprochen werden, wenn auch noch zeitlich begrenzt. Eine einseitige Förderung der heutigen Mitarbeiter würde einer Region, in der seit der Wende 80.000 Braunkohlearbeiter ihren Arbeitsplatz verloren haben, nicht gerecht.
Zeit
Für eine fundierte wissenschaftliche Untersuchung ist neben der Teilnehmerzahl auch ein ausreichend langer Zeitraum notwendig. Die Planungssicherheit sollte den Teilnehmern ermöglichen, ein Studium zu absolvieren, ein Unternehmen zu gründen, eine Umschulung abzuschließen oder auch mehr verlässliche Zeit für die Familie oder ein Ehrenamt zu haben. Deswegen schlagen wir einen Zeitraum von jeweils 5 Jahren vor für die beiden Projektphasen.
In bisher durchgeführten Projekten mit zum Teil kürzerer Dauer konnten bereits positive Veränderungen wahrgenommen werden. Grundsätzlich ist jedoch von umso stärkeren Veränderungen auszugehen, je länger das Projekt andauert, da dies mehr Planungssicherheit gibt und somit neue Handlungsoptionen eröffnet – wenngleich es natürlich trotzdem noch nicht mit den Wirkungen einer unbegrenzten Dauer vergleichbar ist.
Der Strukturwandel wird insgesamt wahrscheinlich länger als die 2x 5 Jahre dauern. Da wir davon ausgehen, dass sich das Modell bewährt, sind eine Verlängerung der Dauer und eine Ausweitung auf die ganze Lausitz oder sogar ganz Deutschland (mit dann anderer Finanzierung) natürlich wünschenswert.
Alternativ könnte auch eine sukzessive Ausweitung über 10 Jahre stattfinden, bei der nach und nach weitere Gemeinden hinzu kommen.
Ort
Der Ort, an dem das Modellprojekt durchgeführt wird, sollte natürlich vom Braunkohleausstieg maßgeblich betroffen sein. Neben der Repräsentativität für die wissenschaftliche Untersuchung ist aber auch die Bereitschaft der Bewohner, sich auf die Veränderungen einzulassen, wichtig. Deswegen schlagen wir eine Bürgerbefragung vor. Es ist essentiell wichtig, solch eine Entscheidung nicht über die Köpfe vor Ort hinweg zu treffen.
Um Vergleiche anstellen zu können, würde es sich anbieten zwei kleinere Gemeinden (zum Beispiel eine in Sachsen, eine in Brandenburg) auszuwählen.
Als Städte in der Lausitz kämen theoretisch Cottbus (101.000 Einwohner), Spremberg (25.000), Hoyerswerda (38.000), Weißwasser (19.000), Görlitz (55.000) und Bautzen (40.000) in Betracht, wobei von der Struktur der Stadt, Größe und Betroffenheit von der Braunkohle Görlitz besonders geeignet erscheint. Dies müsste aber noch genauer geprüft werden.
Höhe des Grundeinkommens
Das Grundeinkommen könnte als Einkommen gelten und wäre damit auch sozialversicherungs- und steuerpflichtig. Dann sind alle Empfänger des Grundeinkommens automatisch kranken- und je nach Alter auch rentenversichert. Bei zusätzlicher Erwerbstätigkeit wird das Grundeinkommen mit dem individuellen Steuersatz belastet und geht in die bestehenden Sozialversicherungen mit ein.
Für Personen, die nur vom Grundeinkommen leben, sollte die Höhe netto zwischen dem politisch bestimmten deutschlandweiten Existenzminimum (9.168 Euro/Jahr 2019 oder auch 764 Euro/Monat), der Pfändungsfreigrenze (1.179 Euro in 2019) oder dem in einer Umfrage aus November 2017 als angemessene Höhe eines Grundeinkommens ermittelten Betrag von 1.137 Euro/Monat liegen.
Bezüglich der Sozialversicherungsbeiträge kann das Grundeinkommen für Personen ohne weitere Einkommen analog zu der Regelung für Midi-Jobs behandelt werden. Daraus ergibt sich eine Brutto-Grundeinkommenszahlung von etwa 100 Euro mehr. Der Einfachheit halber wollen wir beispielhaft die Kosten mit 1.000 Euro pro Person veranschlagen.
Einsparungen ergeben sich für die Kommunen, wenn einkommensgeprüfte Sozialleistungen um die Höhe des Grundeinkommens reduziert werden. Darüber hinausgehende Sozialleistungen bleiben unverändert erhalten, da das Modellprojekt keinen EInfluss auf die Sozialgesetzgebung hat.
Mehreinnahmen der Finanzämter ergeben sich dadurch, dass das Grundeinkommen der Einkommensteuer unterliegt. Die Höhe ist abhängig vom Erwerbsverhalten der Teilnehmer und lässt sich nicht konkret vorhersagen, sodass wir bei der Berechnung der Gesamtkosten von Bruttokosten ausgehen, bei denen die Einsparungen und Mehreinnahmen noch nicht berücksichtigt sind.
Weiterhin können durch die Sicherung der regionalen Kaufkraft die Gewerbe- und Grundsteuereinnahmen der Kommunen stabilisiert werden.
Alternativ könnte das Grundeinkommen auch anders betrachtet werden, zum Beispiel wie ein Kindergeld für alle oder auch als steuerfreie Leistung unter Progressionsvorbehalt. Hier sind verschiedene Umsetzungen denkbar.
BGE für Kinder
Ein besonderes Augenmerk liegt noch auf der Versorgung der Kinder. Der heutige Steuerfreibetrag von Kindern liegt bei etwa 83% von dem der Erwachsenen (jährlich 7.620 Euro für Kinder, 9.168 Euro für Erwachsene). Deswegen gehen wir von einem entsprechend geringeren Existenzbedarf aus, vor allem da Kinder in der Regel in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern leben. Zugute kommt ihnen außerdem, dass sie bei einem Modellprojekt, in dem die Sozialversicherungen ansonsten unverändert bleiben (im Gegensatz zur einer bundesweiten Einführung eines BGE), in der Regel über die Eltern krankenversichert sind und auch noch keine Rentenansprüche erworben werden müssen. Das Kindergeld wird ohne Einkommensprüfung auch weiterhin gezahlt, sodass auch dies noch von der erforderlichen Summe abgezogen werden kann. Bei einer beispielhaften BGE-Höhe von 1000 Euro für Erwachsene ergäbe das für Kinder: monatlich 830 Euro – 204 Euro Kindergeld = 626 Euro. Wir rechnen im folgenden vereinfacht mit 600 Euro.
Eine Familie mit zwei Kindern hätte dann also 2x 1.000 Euro für die beiden Erwachsenen, 2x Kindergrundeinkommen von jeweils 600 Euro + 2x Kindergeld = insgesamt rund 3.600 Euro Grundeinkommen. Damit ist die Existenz gesichert. Weitere Einkommen kommen hinzu, egal ob durch Babysitten, Teilzeit- oder Vollzeitjob.
Gesamtkosten
In der ersten Phase mit 1.000 Teilnehmern wären die Kosten mit 60 Millionen Euro für 5 Jahre noch vergleichsweise gering.
In der zweiten Phase sollte die Wirtschaftsförderung die wegfallenden Löhne der Braunkohlemitarbeiter kompensieren, und somit das Budget etwa 600 Millionen pro Jahr betragen.
Das gesamte vorgeschlagene Projekt “BGE statt Braunkohle” bedarf brutto, also ohne Berücksichtigung von Einsparungs- und Mehreinnahmeneffekten, mit 3,6 Milliarden Gesamtkosten über 10 Jahre weniger als ⅓ der bereits eingeplanten Fördersumme für die Lausitz.
Kosten der Verwaltung und wissenschaftlichen Begleitung sind hier noch nicht einzeln aufgeführt, das diese aller Voraussicht nach geringer sind, als die noch nicht berücksichtigen Einspareffekte.
Abschließende Gedanken
Natürlich würden wir uns wünschen, dass es ab morgen für alle Menschen auf der Welt ein ausreichend hohes Bedingungsloses Grundeinkommen gibt. Solange das aber nicht die Alternative ist, setzen wir uns für Teilschritte in die richtige Richtung ein, wollen die Diskussion ums Grundeinkommen konkretisieren und auf eine bessere wissenschaftliche Basis stellen. Und nicht zuletzt möchten wir der gesellschaftlichen Spaltung zwischen sozialer Absicherung und Klimaschutz am Beispiel der Braunkohle eine Annäherung anbieten.
Diesen Entwurf für ein Modellprojekt sehen wir dabei als Impuls, auf dessen Basis weitere und konkretere Überlegungen ermöglicht werden. Im Austausch mit Politik, Wissenschaft und den Menschen vor Ort möchten wir nun gemeinsam weiter daran arbeiten, einer Umsetzung Schritt für Schritt näher zu kommen. Wir freuen uns über weiterführende Ideen ebenso wie mögliche Kritikpunkte, die es zu bedenken gilt.