Mit dem Ausstieg aus der Braunkohle soll die Lausitz zu einer „Europäischen Modellregion für den Strukturwandel“ ausgebaut werden. Wichtiger Baustein ist dabei eine verlässliche (finanzielle) Perspektive für die Menschen vor Ort. Bislang wurde in solchen Situationen viel Geld an globale Konzerne gegeben, in der Hoffnung, dass davon irgendwann etwas über Löhne bei der Bevölkerung ankommt (Trickle-Down-Theorie). Stattdessen bieten Subventionen direkt an die Menschen die Chance, etwas lokal von unten wachsen zu lassen. Von Investitionen in erneuerbare Energien, über lokale Unternehmensgründungen bis zu stabiler Kaufkraft der Kunden für Handwerk und (soziale) Dienstleistungen – es eröffnen sich viele neue Möglichkeiten. Daher schlagen wir vor, den Strukturwandel mit einem Modellprojekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu begleiten.
Auf diesem Wege könnten zwei aktuelle Themen miteinander verbunden werden. Die klimapolitische Entscheidung, aus der Braunkohle auszusteigen, und die damit ohnehin erforderlichen Strukturwandelprozesse auf der einen Seite und auf der anderen Seite die zunehmende Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen. Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) erfährt in den letzten Jahren immer mehr Zustimmung und der Wunsch nach praktischen Erfahrungen wird lauter. Der Strukturwandel in der Lausitz soll ohnehin mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt werden, sodass die Finanzierung eines Modellversuchs zum BGE aus Subventionsmitteln realisierbar wird.
Der Ausstieg aus der Steinkohle, wenngleich anders motiviert, dient eher als abschreckendes Beispiel. Hier sind insgesamt 200 bis 300 Milliarden Euro für Subventionen ausgegeben worden, trotzdem ist das Ruhrgebiet zur Problemregion der Armut und Natur regional nachhaltig beschädigt worden. Weitere Beispiele zeigen, dass Unternehmen die maßgeblich durch Subventionen zu einem Standort motiviert wurden, nach dem Auslaufen der Förderung nicht lange bleiben. Die Gewinne fließen an Aktionäre in der ganzen Welt ab und von leerstehenden Fabriken hat am Ende niemand etwas.
„Wenn man jemanden herlocken kann, indem man sagt, hier gibt es schöne Fördermittel, dann ist klar, dass spätestens nach Auslaufen der Förderung neu kalkuliert wird. Das würde jeder nüchterne Kaufmann so machen müssen.“ – Christoph Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) nach dem Nokia-Debakel
Mit den 88 Millionen Euro, die Nokia in Bochum erhalten hat, hätte man Besseres anfangen können, ebenso bei BanQ. Wer nur wegen der Förderungen kommt, ist schnell wieder weg.
Stattdessen sollte das Geld direkt an die Bevölkerung vor Ort ausgezahlt werden. Die kann es dann mindestens als Kaufkraft nutzen und damit auch lokales Handwerk, Handel und Dienstleistungen erhalten. Wenn Arbeitslosigkeit steigt oder die gut bezahlten ehemaligen Braunkohlemitarbeiter abwandern, dann trifft es alle, vom Bäcker an der Ecke bis zum Fußballverein oder der Kfz-Werkstatt. Als sicheres Einkommen kann das BGE auch als Gründungs- oder Investitionszuschuss dienen und damit ebenfalls die lokale Wirtschaft fördern.
“Die Braunkohle ist für die Lausitz im Moment wie ein Leuchtturm, alles hängt davon ab. Die Feuerwehr, Sportvereine, Kulturveranstaltungen, das ganze soziale Netz hängt an der Braunkohle. Es geht hier nicht nur um Löhne und Gehälter” – Bewohner aus dem Umland von Görlitz
Neu wäre daran, dass es jeder bekommen würde. Egal ob jung ob alt, ob Mann oder Frau, ob aktuell erwerbstätig oder nicht. In einer Region, die seit den 80er Jahren immer wieder von Strukturwandel geprägt wird, ist finanzielle Sicherheit dringend geboten. Dabei geht es um viel mehr, als um die aktuell noch 8 000 Beschäftigten in der Braunkohle. Das Grundeinkommen würde der Landflucht entgegenwirken und Familien fördern. Eine sichere finanzielle Basis für alle mindert Existenzängste und wirkt gegen Frust und Aggression auf politischer Ebene. Vertrauen in Politik und Regierung kann gestärkt und Protestwahlen entgegengewirkt werden.
“Ohne verlässliche Perspektive kann ich keine Familie gründen, kein Eigenheim kaufen. Seit Jahren werden wir von der Regierung hingehalten. Der Braunkohleausstieg kommt, aber keiner weiß wann und wie.” – 28-jähriger Mitarbeiter im Braunkohletagebau aus der Lausitz
In der Lausitz ist insgesamt natürlich noch viel mehr erforderlich, das Modellprojekt zum Grundeinkommen kann nur ein Baustein sein in einem Gesamtkonzept. Gleichzeitig kann so ein Modellprojekt Erfahrungen und durch wissenschaftliche Begleitung auch Erkenntnisse liefern, die weit über die Region hinausgehen. Dies kann sowohl auf andere Strukturwandelprozesse übertragen werden als auch wichtige Hinweise für die zukünftige Gestaltung der Sozialsysteme in Deutschland liefern.
Die Zeit ist reif, noch vor der Sommerpause möchte Wirtschaftsminister Altmaier das Strukturwandelgesetz verabschieden. Im Herbst soll dann ein Gesetz folgen, mit dem die Schließung von Kohlekraftwerken und Braunkohletagebauten geregelt werden soll. 14 Milliarden sind bis 2036 schon eingeplant, etwa die Hälfte davon geht an Brandenburg und Sachsen. Ein Pilotprojekt in einem Ort mit zum Beispiel 50 Tausend Einwohnern ist da gar nicht mehr so abwegig. Es würde bei einem Grundeinkommen von 1.000 Euro im Monat für jeden 600 Millionen Euro pro Jahr kosten und in etwa dem entsprechen, was durch die Kohle-Löhne* fehlt.